• twilight in Rangun

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    Er starrte fasziniert auf die Schusswaffe. Das matte Blau ihrer Brünierung zog ihn an wie ein Horizont. Dies war eine Lebenshaltung, eine Daseinsweise in einfachster, ungeschönter Technik. Eine kleine Maschine, durch ihren Zweck ein Weg. Er berührte das Metall, nahm es in die Hand. Das Gewicht, die schmeichelnde Passform des Knaufes, all das zog sich zu intensiver, ausschließlicher Wahrnehmung zusammen. Seine Seele tobte, er warf sie gierig in den Lauf, der ihm dunkel und geheimnisvoll durch seine Leere die seines Lebens einzutauschen versprach. Er setzte die Mündung unter sein Kinn, suchte mit dem Zeigefinger den Abzug. Die Federkraft, die der Beugung seines Fingers entgegenwirkte, genoss er offenen Auges als letzte Wahrnehmung, die ein ansonsten viel zu flaches Leben ihm gewährte.
    Doch als er den Druckpunkt überschritt, die Handlung im Bruchteil eines Augenblicks zur Wahrheit gerann, dehnte sich sein Leben in ihm aus und forderte, da es zu spät war, endlich sein Recht. Als der Schlagbolzen schon losgelöst zur Kammer schnellte, wurde ihm gewahr, wie wenig er sein Leben als Auszuschöpfendes begriffen hatte. Wie vernachlässigt seine Zeit durch seinen Gestaltungswillen war. Er wollte, da er sich umbrachte, leben.
    Nur ein trockenes Klicken, kein Knall, kein Ende war die Folge.
    Er fühlte sich aufgelöst, spürte kaum, wie ihm grobe Hände sanft die Waffe entwanden und er ein Glas in die Hände gedrückt bekam.
    „Den Tod nicht zu fürchten, macht dich zu einem gefährlichen Mann. Aber ich sah in deinen Augen, dass du dich im letzten Augenblick doch noch zum Leben sehntest. Trink mit mir, sei lebendig! Ich denke, du hast jetzt etwas gefunden, das zu begießen wert ist. Sauf, du Leiche! Prost!“
    Wie betäubt schluckte der Gladiator den scharfen Schnaps. Nur langsam kehrten Gefühle in seinen tauben Schädel zurück, Wut, brennender Zorn, am Ende Hass, der aber verrauchte, als er begriff, was er sich selbst angetan hatte.
    Die anderen hatten sich auch eingeschenkt und prosteten ihm fröhlich zu: „Gute Show!“
    Seine Glieder schienen ihm meilenweit entfernt, die Kontrolle über sie kaum glaubhaft. Dennoch konnte er das Glas an seine tauben Lippen führen, den Alkohol in seiner Kehle die Schleimhaut verwüsten fühlen. Die Welt, die seine Körperteile voneinander trennte, schien für alles außer seine Empfindungen kein Hindernis darzustellen: kein Tropfen rieselte aus seiner Kehle aufs Hemd. Der Abstand, den er zwischen seinen Bestandteilen fühlte, wurde von allem außer ihm überwunden. Nicht Herr im Haus, das er auch nicht mehr als das seine wollte. Bis jetzt.
    Dissoziation: Selbstverlust, Grenzverlust. Er kannte so ein Gefühl noch nicht, war beunruhigt und führte das in willkommener Naivität auf die Selbstzerstörung zurück, der er sich vor wenigen Augenblicken noch aussetzen wollte. Die Verweigerung des abgelehnten Körpers. Dabei war es die Weigerung der Seele, das Vorgefallene zum Verarbeitbaren zu erklären.
    Dem Schock der nicht eingetretenen Auslöschung folgte das Entsetzen, als er den ganzen Vorgang, der dazu geführt hatte, nochmals durch seinen Geist ziehen ließ. Er war sonst nie soweit gegangen wie eben. Seine Sehnsucht nach Auflösung war zwar beständiger Begleiter seines Lebens gewesen, aber als kleines Refugium der Ruhe, als eine Art Hängematte, in die sich seine geschundene Seele vor den Beanspruchungen des Lebens, den Anfechtungen von Pflicht und Verantwortungen in vorübergehende Sicherheit gebracht hatte. Nicht kokett. So wie ein Heroinkonsument nicht mit der Droge herumkokettiert, so ist der Gedanke an den eigenen Tod kein Spielpartner, von dem man irgendeine Reaktion erwarten durfte. Leben und Tod als binäres System.
    Und nun hatte er sich manipulieren lassen, hatte es zugelassen, dass sein eigener Tod und sein eigenes Leben wie auf Stichwort als Thema provoziert, auf der Welle des verklingenden Adrenalinrausches von Gleichgesinnten in die Arena gezerrt wurde, die Privatheit dieser Zweiheit den Anfechtungen, den Anfeuerungsrufen des Mobs ausgesetzt, der den Gladiatorenkampf Schwachheit gegen Wille vor sich ablaufen zu lassen beliebte.
    „Es wäre ihnen gleich gewesen, ob ich lebe oder sterbe.“ Anklagend.
    „Sei nicht so elendig eitel. Hast bisher immer nur unter den Grenzen der Anderen gelitten - und das ist jetzt klar - und ab jetzt ziehst Du Deine eigenen Grenzen."
    Einen so klaren Einblick in sein Wesen hatte er noch nie erhalten. Saulus mochte etwas Ähnliches vor Damaskus erfahren haben. Etwas zerbrach. Etwas erwuchs.
  • , 2
    Etwas zerbricht.... Etwas erwächst....
    Gute Geschichte!
  • , 1
    danke RISG
  • , 3

    Kompliment!
    Deine Art, mit Worten, Lauten + Bildern zu jonglieren,
    macht hungrig auf mehr

  • Doktor Unbequem
    Gelungener Ebenenmix.
    Ein etwas höherer Level als sonst hier.
    Fortsetzung folgt?
    hope so....
    Signatur
  • , 1 Doktor Unbequem
    freut mich, wenns Dir gefällt.
    bin momentan allerdings stärker aufs malen fixiert.
  • Seite 1 von 1 [ 6 Beiträge ]

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